PAUL ZECH
DER
FEURIGE BUSCH
NEUE GEDICHTE
(1912-1917)
MUSARION VERLAG MÜNCHEN
Alle Rechte Vorbehalten
Copyright 1919 by Musarion Verlag, München
DER TAG
Die Nacht lang standen beide Fenster auf . . .
Es weht mich an, ich muß die Lider heben — :
schon wieder bin ich einem Tag gegeben,
an ein Erleben unbefragt verkauft.
Es greift ein Strahl, es langt ein Baum nach mir,
in meinem Ohr versammelt sich die Straße
und um den Körper spannen sich die Maße
des Anzugs; angezogen stürzt das Tier
zurück auf alle Viere. Losgelassen 1
Und doch auf einen Pfeifenschrei dressiert,
ummauert von dem herrischen Geviert
der Stadt mit täglich durchmarschiertenGassen.
Die Pfeife gellt — : Fabrik wird W olke, Bach und
Wald,
und noch dein Herz zum Fluch geballt.
5
BREITE ALLEEN
I
Ja, noch ist die Straße da mit Haus und Bahn
und hat Fenster, Wächter, Uhr und Hund.
Menschen gehn wie auf Gefängnishöfen rund,
schaukeln über Tiefen wie ein Kahn.
Arme Bäume stehn ganz krumm und ausge*
haart,
noch sind sie Genesenden genug und gut,
und die Mädchen zeigen ihren Sonntagshut
bei Musik und eines Luftschiffs Himmelfahrt.
Aber dieser Blick, der aus Begegnen fällt,
der dich kirren will und doch verwirrt,
jedes Nähergehn vergällt.
Noch die Wände horchen wo ein Schlüssel
klirrt,
nichts ist was wir lieben können, was uns sucht.
Unter uns die Keller heulen: »sei verflucht!«
6
II
Diese Straße hat nur einen aufgerissenen Mund
drin zwei Reihen schwarzer Zähne stehn,
Zähne stehn, die Häuser heißen: acht, neun,
zehn . . .
Schmale Streifen Himmel dröhn profund.
Der Verkehr hat alles Sein zurückgedrängt,
saugt und würgt uns wie Gewürm hinein,
und man fühlt Gesichter werden grau wie Stein
und das Herz aus dem Gewicht gehängt.
Keine Wand erbaust du unerlaubt
noch den Park hat Polizei umstellt
durch die Kirchen strömt es mit bedecktem
Haupt.
Tag und Nacht drehn sommerschwer ge«
schwellt
sich vorüber . . . oh, ich dürste nach der Frucht
eines Baumes. Und bin vor ihm doch auf der
Flucht.
7
FRÜH 5»
Die Straßenzüge liegen krank
in einem mauerharten Grau.
Von dem Gewalt gewesenen Radau
blieb nur Geröll, Gestank.
Nicht anzusehn ; die Galle fließt herzul
Noch nie lag diese Stadt so schamlos nackt,
ihr Innen nie so herzlos aufgehackt.
Einäugiger, was zögerst du?
Wenn dich der Wald der Schlote erst umweht,
ist es zu spät. Mit höllenhaftem Saus
reckt sich die Straße wieder strotzend aus.
Der weiße Auspuff dreht und stößt.
Nicht tiefer in den Staub, Proletl
Willst du zu dir — : Gewalt erlöst.
8 ‘
ANGST
Manchmal umeist mich Angst hinaus zu gehn,
der Ziehenden Gesichter sind so aufgehackt.
Ich bleibe vor dem Holm des Fensters stehn.
Des Vorhangs gelber Flor verdreht das Bild,
die Häuser baun sich nicht mehr so zerzackt
um den Verkehr, die Straßen nicht so wild.
Voll tiefen Silbers sehn die Augen jetzt
herauf zu mir; befreundet bin ich allen
und nichts geschieht was mich entsetzt.
Mein eigenes Gesicht noch mag nicht mehr
das meine sein; es will sich Wohlgefallen
Kalt aus dem Spiegel grinst ein Irgendwer.
9
FELSEN
Du Mann, der auf der gleichen Gartenbank
das frühe Grün hascht und, vom Wind ent*
zündet,
den kühnen Flug der Bläue sich verbündet — :
wie sind wir beide blaß und steinerkrankt.
Auf unser kurzes Ruhn läßt sich das Rot
der Rose, lassen sich die Amseln nieder.
Es schmilzt das felsige Eis vom Saum der Lider
und in den Staub zurück schrumpft Neid und
Not.
Wir kühl einander Fremden werden warm
in Worten, grad zufälligen, und haben
Gemeinsamkeiten wie wenn aus dem Graben
emporzog uns der gleiche gottgesandte Arm.
Wir stoßen an mit laubgefulltem Glas . . . .
O kämen nie Geräusche uns zu trennen I
Wir wollen unsre Namen uns nicht nennen,
aus jedem »du« keimt schon der Mordstahl
Haß.
10
Nur einmal fassen unsere Hände sich.
Die Gärtner treten zwischen uns und sprengen
das gilbende Rondell. Die Sonnenstrahlen
sengen
so mittagsteil — Warum verrätst du mich?
11
MAGDALENA
Die du mit mir die laute Stadt bewohfien mußt,
den Rädern ausweichst und herzlosen Augen,
und wenn Gespräche gehn dich auszulaugen:
ein Schwert verspürst quer durch die Brust—:
Wie bist du hart geblieben und allein
mit Wimpern, die Gebüsche niederschatten.
Es prallten von dir ab die bürgerglatten
Verführungen — : im Küssen schön zu sein.
Dein Herz wird von geahnter Republik be«
wohnt.
Es dringt kein Schein heraus. Die steingefügten
Wände
sind offen nur, wenn mürbe Greisenhände
anklopfen. Und der Himmel Sterne hat und
Mond.
In heiliger Nacht bist du Entflohenen Trost,
Balsam dem Nachhall einer falben Meute,
die sich zu früh erjagten Wildes freute
und durch die Straßen donnert rot erbost.
12
Du, Melodie, von einer andern Welt,
umkreist die Märtyrer mit lichter Schwinge.
Es ründen sich an Tischen schon die Ringe,
beschienen von der Lampen gelben Zelt.
Auf wen sie alle warten: du bringst den
inCympelklängen schon herzu. Die Nägelmale
bluten noch. Und jede Hand ist hohle Schale.
Es kann kein Blut von ihm verloren gehn.
Bekränzt von Engeln: schwingende Figur — :
es wehn von ihm um alle Häupter Flammen
und schlagen groß zu einem Haupt zusam«
men . . .
Zu seinen Füßen weinend du alleine nur.
13
ES TOBT MUSIK...
Die Flüsse treten aus den Ufern strotzend breit
und blähn sich Segel aus dem Grün der Weiden.
Es tobt Musik: die Mauern abzuschneiden
von der aus dem Zerfall gewordnen Zeit.
Die Brücken sind schon viel zu alt, und ohne
Lust erbaut.
Und brächen sie: so schnell war das nicht
Schwimmer,
was wiehernd sein Gehirn zurückbiegt blonden
Haares Schimmer,
zurück kaltglatter Haut.
»Ja, Straßen haben Zeit und Raum genug
für meinessgleichen noch«, frohlockt das Heute.
In den Fabriken speichert sich die Beute
turmhaft empor. Gesetze rechnen klug.
Doch Tausend röcheln dumpf. Betrug! Und
drehn
die ausgelaugten Augen groß nach innen.
Und fühlen: fieberheiße Quellen rinnen
empor. Die bleiben auf der Stirne stehn.
14
In Brauen und in Falten denken sie sich fort.
Was sie erhorchen ist nichtmehr gelogene Stille.
Und langsam kommt der eingesunkenen
Pupille
zurück das unterbundene Wort.
Es explodiert gleich aufgezücktem Arm
und Zweige bieten schwellend ihr Belauben.
DerBahnen fabelhaftes In'die*Ferne*schrauben
wird zum befeuernden Alarm — :
»Die Flüsse treten aus den Ufemstrotzend breit
und blähn sich Segel aus dem Grün derWeiden.
Es tobt Musik. Es stürzt ein Heer von Heiden
in die Verfall gewordene Zeit«
15
NACH DEM AUSFLUG
Die Bahnen greifen schneller aus,
die Waldung ist zu finster schon.
Nun geben die Cafes den Ton,
der Zirkus und das Freudenhaus.
Der Mond, der dich verjüngte kinderklein,
ist nicht zu sehen mehr im Lampenschnee.
Die Straßen und das Oben: alles See,
ein blankgefrorner Schein auf Stein.
Vielleicht bist du zu müde jetzt
für eine Freude, die dich lockt;
sie hat ein Herz, das deine stockt
seltsam verletzt.
Dein Mund gerinnt: nichts sehen mehr!
Wie langsam fließt die Straße aus.
Du bist zu Haus
und wirfst dich auf das Sofa schwer.
Und starrst umher: die Wände kahl
und ausgekühlt
und niemand mehr, der dich befühlt
mit Worten abgebraucht und schal.
16
In deiner Hand das welke Blatt
geborgen nun: wie das beglückt,
den ganzen Wald in diese Stille rückt,
Urwälder über diese Stadt . . .
»Nur diese Nacht noch Birke sein,«
aufschluchzt dein Mund; .
nur diese Nacht noch bis zum Grund
des Bluts gekuscht und herzallein . . .
CAFE
Auch hier ist alles nur Bettug und Schein:
Die Geige lügt, die Kellner gehn gemein.
Das Wort noch, in Gesprächen ausgetauscht,
macht uns nicht heiß. Wir sind belauscht.
Wir haben eine Aristokratie
aus uns gemacht, gelenkig unser Knie.
Wir wissen von der Nacht nur, daß sie tanzt,
nicht, daß sie unsere Existenz zerfranst.
Den Bettler vor dem windigen Portal
sehn wir nicht an, das Bild ist schal
und doch im steten Trotz der Wiederkehr
der Spiegel: wie verkalkt sind wir und leerl
... Da stürzt ein Pferd, der Damm schluckt
schwarzes Blut
Und niemand hat mehr einen Funken Mut,
dem Schmerzgeschmetter das Pistol zu ziehn.
Was hilft dies uns, daß wir vor Ekel fliehn?
18
Es stürzen Tausend diese Nacht noch hin,
die sich mit Faust und ausgetrotztem Kinn
ein Dasein zimmerten. Wofür noch sind
wir da? Wir fechten in den Wind.
Wir häufen einen Chimborasso von Papier,
nicht Waffen und sind immer noch nur vier,
nicht Millionen wider diese Zeit.
Der Strom der Not wächst bald zu breit.
Eh’ nicht einWall von Fleisch die Brücke baut—:
seit auf der Gasse laut,
auf allen Kanzeln zeigt das rote Tuch,
durch jede Gurgel müssen wir den Fluch
hindonnem: »alte Ordnung s.tirbl«
ich höre nur Gezirp.
Das Herz in unserem Tun gefror.
Mit krummen Hörnern stößt der Morgen vor.
2 *
19
TÄNZERINNEN
Paris in den Tagen, da Abb£
Murat die Messe las.
Sonntag will blau herauf
O ungestümes Drängen vonder Dächer schwär»
zem Riff!
Es zeigt die Bahn sich an schon mit erfrischtem
Pfiff
in der gewaschenen Straßen tragischem V erlauf.
Vor eines Turmes runder Öffnung enden sie
bewegt vom Zug der Frauen schwarz und grau.
Die Orgel donnert Salven durch den Pfeilerbau
und zwingt von MännemU nbezwungene Knie
an Knie.
Zwingt ihre Augen hoch empor. Ein Kinder»
wort
macht sie zu Büßerinnen vor dem matten Bild.
Aus den Frisuren lösen sich die Haare wild
und fließen mit den kalten Fliesen fort.
Der bleiche Christus aber murrt. Sein blutig
Haupt es hängt
ein Domendickicht auf das klirrende Geschirr
des Sakraments. Die Knaben flattern irr
und von den Ewigkeiten abgedrängt.
20
Der Frauen übertriebenes Gefühl zu knien
ist körperlich und fällt wie Hunde an,
in Kirchen noch Grimasse und Tyrann:
Hartherzige herabzuziehn.
Und werden Stein, nun keine Stimme haucht:
»Ihr dürft!« Mit Augen voller Mohn
erheben sie sich wie von einem Thron,
indes im Weihrauch Gottes Herz verraucht.
Wie klar es ist, daß sie die Stadt nur mag
auf Promenaden strotzend von Verkehr!
We Inseln schwimmen sie im Männer*Meer
und haben ihren besten Tag.
i
An Litfaßsäulen ihre Namen stehn
Plakat gewordenes Geschlecht—:
wie lange noch bin ich dein Knecht
wo schon um andre Himmel sich Geschlechter
drehn?!
AUS DEN FENSTERN EINES
KESSELHAUSES
Sthon hat die Glut mich eisern abgeschraubt
vom Tag. Es war ein karges Gartenglück:
halb Traum, halb in die Wirklichkeit zurück.
Und dennoch war ich vom Azur belaubt.
Dies Blaue, dieses Gott und Kindern gute Tun
war nur zu kurz, war Diebstahl an dem Blut,
womit ich dienen muß in harten Schuhn,
für einen Herrn, daß sich vermehr’ sein Gut.
Er will von mir nicht weniger als das,
wofür ich bin mit Atem, Muskel, Hirn.
Was bleibt mir anderes noch als roter Haß
im Herzen und die Adern auf der Stirn?
Vergehenden Gesichts, ein Rad in dem Betrieb :
was bleibt mir anderes noch als mich zu drehn
auf Noten, die ich blindlings unterschrieb.
Ich habe nicht mehr Kraft zurückzugehn.
Das Feuer loht, die Kessel wachsen aus
im Unterirdischen gewaltig breit.
22
Doch im Gewölbe dieses Höllenbaus
bleibt eine Stunde auf, wo niemand nach mir
schreit.
Ein Fensterloch geschnitten in die Nacht:
da preß ich mein Gesicht hinein und fühl',
wie ein Gewühl mein Auge weicher macht
mit. wehendem Gehauch und Tropfen kühl.
Bist du es, Wald, den immer ich durchmaß,
wenn Nacht die Stämme mauerhaft um«
schwoll?
Ich weiß nur, daß ich einmal dich besaß,
blühenden Grüns im Mai die Fäuste voll.
Jetzt schließt der Mond dich auf unendlich tief.
Und Wipfel scheinen weiß und kummerlos.
Und wie schon einmal mich ein Schauer über«
lief
vor einem Auge schwarz, wie eines Gottes groß :
erschreckt mich des Gewässers dunkles Glas,
herwehend dieser Erde Seele. Mir herzu
die Jugend wieder, die ich nie besaß,
nur eines Vaters rutenhartes Du.
23
Es rinnt und rauscht und duftet unsichtbar
und schwemmt das Böse fort: nun bist du alt?
Schon treffen Zweige mein verwehtes Haar,
und Flaum des Laubs hat über mich Gewalt.
Die Kesselfeuer löschen alle aus
in mir. Die harten Schwielen sie vergehn.
Gesang der Feme donnert durch das Haus.
Vor Sternen sind die Räder nicht zu sehn.
Das ist nicht Sein . . . und ist doch meine Welt
mit Lichtem und verklärtem Tun,
klingt wie aus mir und ist um mich gestellt
auf einer Insel heilig auszuruhn.
24
FAHRT IN DEN HERBST
Die Bäume heben ihr Entbehren starr
in den geschwärzten Horizont empor.
Die Straßen geben frei ein breites Tor.
Nichts lockt in Häusern mehr: »O Gast ver*
harr!«
Verbrüdert mit der ziehenden Allee
greift aus mein Schritt, springt an das Blut.
Die Lungen haben wieder hellen Mut
nach einer Kühle weiß wie Schnee.
Der tödliche Radau wird grauer Grind.
Rosig im West erglüht ein braches Feld.
Hier endet erst die glattgepflegte Welt.
Musik macht Wolke, Bach und Wind.
Schon hundertmal vorbei fuhr mich der Zug
und kurbelte verzerrt die Szenerie.
Wie silbern hingehaucht umschwebt das Knie
der Birken eines Hügels braunen Bug.
Zu Steigungen verlockt die Luft,
wo frühe Krähen brechen aus,
als wäre ich verwurzelt hier zu Haus
und hinter mir Verfall und Gruft.
25
Und kletternd schon wird auch das andere
entrückt,
was mich noch freute im zerriebenen Betrieb,
was eineHand auf störrischemPapier beschrieb,
daß es die Laune einer Frau beglücke . . .
O Gipfel — : war ich nie berauscht, jefzt rauscht
das Hirn, jetzt rauschen Herz und Haut.
Und so, als läge außen jeder Laut verbaut,
das Ohr hält hart die Muschel an und lauscht.
In ewiger Sprache donnert das entstaubte All
und weiß nur eine Straße, einen Raum,
in den wir alle stürzen von entwachsenem
Baum
erlöst, und reif zum Fall.
26
STÜRMISCHE FLUCHT DER
HAUSER...
Stürmische Flucht der H äuser vor dem Regen
er peitscht mit schwarzen Striemen die ge«
schminkte Haut.
Zu lange war in den Klavieren laut
der Tanz ums Kalb — : Kniefall und spitzer
Degen.
Gottherrisch abgedreht hat wer die Birnen;
wie Spinnen hocken sie in dem zerfetzten Nest,
unruhig schielend auf den Aschenrest
betrogener Kellner und Anfanger«Dimen.
Kein Stein zu trotzen wagt; die Straßen fließen
in eine Stille aus, wo jeder Puls vereist ....
Wer du (noch im Begegnen mir) auch seist:
es waren Ängste die dich in die Schwärze
stießen.
Der Mund, den deine Lippen einmal suchten,
brüllt jetzt den Rächern zu das helle: Haiti
Von seinen Fängen hart umkrallt,
erinnert sich dein Herz. Die rot gebuchten
Verbrechen treiben Schweiß aus allen Poren
der maskenlosen Stirn. Du springst zu kurz.
27
Es stürzten tausend vor dir. Noch im Sturz
wird deinesgleichen in die Welt geboren.
Und stelzt im ersten Strahl die blanken Straßen
hinunter, die schon wieder Häuser haben Stein
an Stein:
Sie lassen liebend ein und gehn zum Schein
auf Ehen ein. Und erben, was sie schon ver*
fraßen.
Stürmische Flucht der Häuser vor den Ruten
der Reue, vor Verbrüderung und Gott . . .
Die Außen« Wälder aber drängen zum Kom«
plott
und haben Mut, für den Verfall zu bluten.
Zu diesen flüchten sich die jungen Dichter.
Sie träumen Volk um einen Berg geschart.
Sie warten auf den Mann im braunen Bart
Aus Wolken aber droht noch ein gestrenger
Richter.
28
ES TONT DIE STADT EIN DUNKLER
EULENSCHREI ....
G ewaltsam auf den Strand aus Stein gestoßen— :
wir winseln jeder herrenlosen Kreatur,
wir taumeln jedem Bäumchen nach und gehn
in großen
angstübereisten Bogen um die Spur
von Menschlichem herum. Die paar Laternen,
in straffer Straßen Schnur,
verbauen das Gefühl von Mond und lila
Sternen.
Es tönt die Stadt ein dunkler Eulenschrei.
Schakale bauen Zäune vor den Femen.
Woher auch jener Schatten sei,
in den wir uns zu fallen sehnen:
nur eine kleine Weile von den Fenstern frei
%
sich an ein Außerräumliches zu lehnen,
ist Wunsch und Wille. Aus zwei Löchern stier
grinst Kains Schuld. Und unsere Arme dehnen
sich liebewarm: zu küssen Stein und Tier.
29
UND DER MOND IST DA ..... .
Zitternder Bäume Sanftmut überlaubt
die Stirnen uns. Wir spüren kaum noch Steine.
Nur näher uns des Himmels ausgewölbtes
Haupt.
Und die Gestirne klirren durch die vage
Beruhigung der Gärten. Und der Mond ist da
mit Tröstungen: daß kein Verlaufener mehr
klage.
Wir wissen alle nicht mehr, was uns tags ge#
schah.
Wir strömen planlos über die Uferdämme
der Zeit und sind dem Ende dieser Erde nah.
Wr spielen mit dem Schaum derWellenkämme
und wissen — : von der Stadt blieb nichts zurück
als Rinde und Wurzel beilgefällter Stämme.
Wir taumeln schwer von ungelöstem Glück,
zerteilt die Herzen in gefleckten Lichter#
flammen,
in unseren Augen ründend zum Geschick
das Land, wohin wir fahren und woher wir
stammen.
30
DIE NACHT BEWOHNT MIT GLUT
MEIN ANGESICHT...
Die Nacht bewohnt mit Glut mein Angesicht,
mein Haar brennt hell vor Qual und Scham — :
so voller Lüge sind die Tage nicht
wie dieses Dunkel, das die Straßen überkam
mit einer hohlgelogenen Leere ohne Haus,
Gelärm von Bahnen, Marschtritt, Mädchen«
blick . . .
Hängt nicht aus jedem Fensterloch heraus
als Fahne ein entartetes Genick,
ein Nacken, der nicht weichen will dem Schein
der Sterne und dem Singen süß im Laub?
Der Schatten schlägt herab auf den befrorenen
Stein
und fegt in Wirbeln durch den Park Laternen«
staub,
rast durch der Uhren abgespannten Gang
die Unruh seines Bluts als Stundenschlag,
daß der Fabriken Bau kanalentlang
zerhämmert geht wie der durchstürmte Tag.
Die Zimmer kochen über von erschwitztem
Traum
und ballen vor dem Mond ein riesiges Phantom,
31
aus tierischer Wünsche aufgeschlagenem
Schaum
ein höllenhaftes Babylon und Rom.
Sie zeigen nicht die Stimenadem mehr —
sie zeigen aufgehaun das rote Innenhim,
den Neid ,den Haß, den Mord als Dolchstoß
quer
und brechen in mein Herz ein sengendes
Gestirn.
Darin verkriecht der Hingemordeten Geschrei,
der Buckligen Gewimmer und die Not
der Mütter, daß sie niederkommen mit den drei
Gewalten, die der Tag verbot.
Es platzt die Haut. Die Augen fließen aus.
Zum Krater trichtert sich der stumme Mund
und speit sein Menetekel auf das Haus,
woher ich kam als heimatloser Hund.
32
I **
WIR BETEN IN DIE NACHT...
Es läuten schon die Ampeln den Choral der
Nacht.
O süßer Mond verwandert in der Wolken
Bucht,
vor Regen und Gestöber auf der Flucht . . .
O Dächer: grün und flurhaft abgeflachtl
Es ist ein Brunnen nur, der sich noch regt.
Es ist ein Baum nur, der noch atmen mag.
Es ist ein Abglanz noch vom rosa Tag,
der den gefrorenen Kanal bewegt.
Wie sind wir so allein, und lieblos ausgesetzt
dem Zufall, daß er uns entdecken soll,
warm kleinsingt oder durch die Straßen hetzt.
Wir beten in die Nacht, die droht uns grau und
groß.
Wir singen alter Psalmen dunklen Moll
und sehn ein Weib: das tote Kind im Schoß.
3
33
STURM
Das Lesen stundenlange durch die Nacht
hat mich um Müdesein und Traum gebracht.
Ich höre das Geziefer in den Dielenbalken
nagen
und draußen Bäume an das Fenster schlagen.
Die staubige Enge schnürt den Atem ab,
das Blut kommt aus dem trägen Trab
gleichgültiger Luft heraus. Ich muß wen hassen
und mit den Fäusten fassen.
Die Türe springt — das Dunkel faucht mich an;
wir kämpfen aufgebäumt Mann wider Mann.
Kein Sturz soll mich zu Boden rückwärts
biegen.
Ich bin so schön im Schwung zu fliegen.
Die Stadt zu überfliegen, die sich feige duckt
und wider Hieb und Härten sich nicht muckt,
die, eingelullt von hohlen Steinekstasen,
nicht fühlen will, wie Wald und Elemente rasen.
t
Oh, schwänge sie mit hochgezognen Knien
sich auf mit mir, hell vor mir her zu fliehnl
Gewaltige Flucht aus den begrenzten Meeren
derHäuser— : Heil, den Rücken euch zu kehren.
34
Ihr seid nicht wert, von uns bewohnt zu sein ;
noch euer Herz ist rotgetünchter Stein.
Die Straßen gähnen bissig auf an jedem neuen
Morgen
und zeigen Uhren, stolpernd über Sarg und
Sorgen.
Nur diese eine Nacht sei steile Rebellion.
Schwill an zum Glockenton.
Was haltlos ist, zerfall’; was starr ist, flute — :
wir alle Christi Blut und Gottes rote Rute.
j*
35
NIEMAND HAT DAZU SCHON
MUT...
Der Abend spült uns aus dem Kot herauf.
In Schleifen singen uns die Bäume am Kanal
Der Trambahn strotzender , EroberersLauf
wird matt und zögernder mit einemmal.
Die Straßen horchen in den Wind hinaus,
wo Silberfische die Laternen ziehn.
Die Häuser grübeln Fensterstimen kraus
und fühlen — : noch ist Zeit zu fliehn.
Noch einmal tanzen um das goldne Kalb
Nicht? wissen?woller, daß wir schon
der Fürsten Schlaf bewohnen als ein Alp,
gebraut aus Farben Mohn.
Die Geigen kippen um .... in Moll ein Takt
schlägt an — : »Zur Damenwahl!«
Der schwarzen Flore breiter Katarakt
schäumt einen Ozean von Qualen in den Saal.
%
Die Quäler kennen uns. Wir kennen sie.
Wir wissen es — : sie kommen über uns,
36
mit Peitschen nicht; wir waren früher Vieh.
Heut winseln sie Erschrecken eines Kinder«
munds.
Von unseren schwarzen Brauen will das Eis
hemiedertaun — : Versöhnung zischt ins Blut.
Die Augen wollen zum Beweis — :
Mordschuldiger bekennel Niemand hat Mut.
Zu sehr noch lügt die Fabel Ruhm im Hirn . . .
Die Toten schlafen weit auf fremdem Feld.
Nur Bettler bohren spitze Finger in die Stirn
und sterben an der großen Hure Geld — :
»Wann kommst du, Tag, mit Marschmusik,
und hinter ihr Fabriken Zug an Zug?«
. . . Wir sind wir selber noch von dem Betrug
des Ruhms zerfetzt und Räder der Fabrik,
daß wir nicht heute den begonnenen Sprung
zu Ende rasen, nun es gilt!
Die Muskeln kommen vor Gespanntheit nicht
in Schwung
undsind zusehennur als Ademdrohend wild. . .
37
Der Morgen treibt uns in den Kot zurück.
Die Straßen strecken sich beruhigt breit.
Die Sonne malt darauf ein Kringelglück
und fälscht die Zeit.
!
38
ZWECKLOSER STERN
Die Straßen haben keine Sonne mehr
und stoßen graue Schleier vor Fassaden.
Durch den geblähten Lampennebel baden
goldäugige Eulen und der Hunde dunklesHeer.
Ich schreite wie durch Höhlen, krumm gebückt,
und meine Hände triefen von der Nässe.
Ich fühle, Mädchen, nicht dein Herz, nur Blässe
mir immer atemwärmer nah gerückt.
Ichseh’nur, Bettler, das entgöttlichte Geschwür
auf deiner Stirn ;warum zeigst dunoch Krücken?
Sieh, Angst, aus blau gerafften Blätterlücken
brennt schon einSpaltdersternumbuschtenTür.
Gestirne: zarteste Wesen dieser Stadt,
auf Flügeln himmlischen Geläuts geweitet . . .
Und niemand ist, der seine Arme breitet
und jenseits seine Abendheimat hat.
39
DER GREIS IN DER LANDSCHAFT
Nun bin ich auf das Gnadenbrot gesetzt,
und nie mehr werden mir die weißen Säle
im Donner der Maschinen aufgehn, die zuletzt
ich kaum noch spürte mit dem Herzen voller
Pfahle.
Denn fünfiinddreißig Jahre lang Fabrik
war eine Folter, die mir nichts ersparte,
die noch dem Sonntag die verliehene Musik
stahl, daß im Tanz ich Diener nicht entarte.
Denn jedem Schorn wuchs eine Kirche auf
zugleich;
auf Straßen wurde für das falsche Heil ge*
worben.
Es kamen Frauen, lockend für das Reich;
doch solchen Freuden war ich abgestorben.
Ein Fetzen Grün, die Augen voller Blau:
wie selten kam das, aber ungeheuer
herein in das zersägende Getöse Grau,
wenn mein Gefühl schon schrumpfte vor dem
Feuer.
40
Nun ist es nicht mehr Zufall, seltenes Bild,
vor meinem Blick entfalten sich die Dinge:
Bach, Hügel, Wälder, blumiges Gefild,
als ob die Welt erst an zu leben finge.
Jetzt bin ich stark, zu halten, was beschert
mir wird von reinen zärtlicheren Händen.
Jetzt hab’ ich Zeit und baue meinen Herd,
umblüht von diesen mauerlosen Wänden.
Sieh, wie sich alles mir verzweigt und schenkt:
der Brunnen und die weißen Steinfiguren.
Sieh, wie der Himmel sich noch tiefer senkt
auf Flächen, die mich kaum im Traum erfuhren.
Daß diese strotzende Allee da wirklich ist
und diese Eichenreihe nicht Kulisse:
es haucht der Wind: »Verwunderter, du bist!«
Es strömt der Fluß: »Verwiesener, nun wisse:
in deinem Aug’ die Lust erhebt sich schon,
Gewalten dieser Erde zu umfassen.
U nd auf den Lippen bleibt dir nur der eineTon :
zu lieben, statt zu hassen! «
41
O Himmel, ungeheuer, wolkenlos,
o wälderhaftes In*die*Feme*trabenl
Ich atme Gott. Es ist ein schönes Los:
für dieses Land gelitten noch zu haben.
42
BALD WIRD DER TOD WIE EIN
GESPIELE STEHN...
Der Ahorn greift mit welken Armen schon
in einen Himmel grauer Regenstreifen
und färbt ihn auf den warmen Ton von Mohn.
Den Himmel bangt, in den Verfall zu greifen,
wo jedes Blatt schon einsam ist mit sich
und haucht: »Oh, kam ein Wind, mich abzu*
streifen 1«
Die Farben grell und abenteuerlich
sind ihm erwünschte Maske, zu vertuschen
den Mord des Lichts, das unbeweint verblich.
Erst muß die Stadt sich hündisch kuschen
im falschen Schein des Lampenschnees,
eh* Herbst und Leere niederbricht mit kalten
Duschen,
und in den dunklen Spiegeln eines Sees
die ftirchtversprengten Häuserzeilen
mit Feuerrädem und durchtrommelten Cafes,
43
das Wasser wie Ertrinkende zerteilen.
Bald wird der Tod wie ein Gespiele stehn
vor der erschrockenen Nacht und ewig weilen.
Es ist von ihm nur das Gewand zu sehn,
ein schwarzes, faltenreiches. Und mit Händen,
zärtelnden, streicht er, so, als wäre nichts ge«
schehn,
das Haar zurück auf Stirnen, die an kalten
Wänden
die Angst verkühlen vor dem fühlenden Zerfall
und ihre Seelen in Gebeten schänden.
Wie zwischen Felsen tönt der Widerhall
von ihren Sprüchen in die kalten Munde
zurück als einer fremden Zunge Hall.
Und langsam werden sie an dieser Stunde
und ihrem ungestalteten Geschehen irr.
Und suchen Weiber sich, und gehn daran zu«
gründe.
44
Aufschreckt sie erst der Scheiben rostiges Ge»
klirr
vom Schwung der Wagen, dampfumfaucht,
bis auf dem rosablumigen Geschirr
der Herbstals Göttin braunem Mokkaraucht. . .
Und draußen greift mit schwarzen Hunger»
armen
der Ahorn in den blanken Schein und haucht:
»Erbarmen oh, Erbarmen!«
45
KLUFT
Der Stein, für den mein Blut zehn Stunden
lang erklang,
das Eis, für das die Klammer meines Hirns
zersprang,
der Brunnen meines hohlgeborenen Seins,
die Galle meines frierenden Alleins — :
wir schreiten Beide breite Straßen aus
durch der Verkehre dunkelnde Radaus.
Wir werden von der gleichen grellen Fenster*
schau
sekundenkurz gelähmt und werden von der
gleichen Frau
verführerischem Rot umschnurrt, gestellt
und fortgepeitscht, wenn näher schon die
Schnellbahn schellt.
Der Park greift uns mit riesigen Armen an
und hebt uns atemknapp den Berg hinan.
Schon kommt der Sterne meerhafthelles Heer,
das uns umringt. Wir kennen uns nicht mehr.
Wir schreiten wie ein braunes Brüderpaar,
das nicht im Kampf — das vor dem Altar war.
46
Durch unsere Munde mahlt die leergelesene
Zeitung fort;
doch keiner spricht das eine arme Wort,
das plötzlich uns zum Stehen zwingt
und über uns die Fackel Herzversöhnung
schwingt.
In meinen Fäusten zittert der Revolverknauf,
in seinen Fäusten, passen alle Polizisten auf.
Die Gräben der Chausee sind schwarz und
hohl,
und unsere Füße fühlen sich wie auf bezwun#
genen Brüsten wohl.
Wir atmen auf, wenn schnell die Lichterstraße
brennt
und ohne Gruß das Kreuz am Weg uns trennt . . .
Und hätten doch hinstürzen müssen vor dem
Holz
mit unserer Kluft, mit unserem Mord, mit
unserem Stolz.
47
VORSTADTBALKON
I
Daß mir Eingezwängtem, hier in dieser
steinernen Kaserne,
wo verhüllte Not aus hundert Fenstern raucht,
wie hinausgestoßener Atem so verbraucht,
noch ein Blick gespart ist in oktoberfalbe Feme 1
mit getönten Wipfeln, goldgerippten Pfaden,
Vogelflügen und geschweifter Wolkenflucht,
daß mir dieses noch gespart ist mitten in der
Wucht
hitziger Geräusche, hingedonnert an Fassaden
lügnerischer Prunkpaläste: weiß ich kaum zu
halten,
kaum zu überdenken. Meine Sinne standen
lange stumpf,
angewidert und gefühllos hinter wehen Lider«
spalten.
Alles Neugeschehene von Luftschiff, Flug«
husaren,
rührten mich nicht so wie dieser selige Triumph:
Wunder einer neugewordenen Landschaft zu
erfahren.
48
I
II
Wie ein Haus wird auf kaum abgetragenen
Gartenfetzen
und ein Turm auf einem neuen Rathausbau:
wird mir klar herzugetönt. Wie aus der Vogel*
schau
keimt mir das Gewühl empor aus den ver«
schlungenen Netzen
langer Straßenzüge. Und das Läuten flinker
Bahnen,
Notsignale aufgeschriener Feuerwehr
und ein Dampferpfiff von Spree und Wann«
see her,
sind melodisch wie Gesumm von Bienen durch
Platanen.
Blauverklärte Zärtlichkeiten hingespannter
Seide
überschimmem aller Dächer stumpfes Grau . . .
Oh, ich fühle mich wie eine blond besternte
Sommerfrau,
der im Schoß der vollere Klangdes Lebens ruht.
Und das dumpf Verkrampfte tief in meinem
Blut
schimmert endlos blühend auf wie eine rot«
bekrönte Heide.
4
49
III
WilderWein, der blutrot aus denKästen wirbelt,
fahlerfrorene Astern auf dem Blumenbord,
stacheln mich nicht mehr wie ein geworfnes
Wort,
schau’ ich, wie ein Mückenschwarm sich in das
Goldrot zwirbelt,
das aufW olkenbergen ungeheuer ausgegossen,
alle Kuppen dieser Landschaft spiegelnd über«
schwemmt.
Noch sind Knaben, die auf Rasenflächen un*
behemmt
Lederbälle schleudern. Und an schräggestellten
Leitersprossen
eines Lampenputzers schaukelt weißes MäcU
chenkichern
auf und nieder wie Gezwitscher einst am
Schwalbendach.
Staunen, das mir unaufhörlich wie ein
Schluchzerbach
50
von den Lippen fließt, ergießt sich in ein Wort,
das dies Vorstadtwunder lobt als einen Walls
fahrtsort,
der gebaut ist, Leib und Seele vor Beelzebub
zu sichern.
4 *
51
IV
Manchmal schallt Musik herauf von Hof«
guadraten
und der Tanzschritt kleiner Mädchen, die sich
bunt
um den Orgelspieler scharen, der mit hellem
Mund
einen Walzer schmettert oder himmlisch blaue
Jubilaten.
Silberschauer, die durch graue Schleier tropfen,
säumen das heraufbeschwome Werktagsglück.
Wie ein Luftbehorcher kriech’ ich tief in mich
zurück:
leereKammemwiemitFrüchtenvollzustopfen.
O, so seltsam sanft umfriedet mich der Horizont
dieser herbstlich eingewiegten Häuser, Front
an Front,
daß ich taub bin allem Schrein von Streik und
Kriegsgerüchten.
Käme nun ein Mahnruf von Verstorbnen her«
geweht,
schloß ich sie noch inniger in mein Gebet:
gram dem Rufer, der sie hieß von hier zu
flüchten.
52
BUSSPREDIGERJOHANNES
Ihr, die ihr Dampf, Magnet und Blitzstrahl
schön dressiert,
an Riemen haltet Falken, auf ein Wild zu hetzen,
und ihr in Banken, die ihr finster ausprobiert,
Wahnsinn des Goldes wie ein Schlachtschwert
scharf zu wetzen,
du, greiser Berge Geist, der du nur zornig weißt,
daß Ausruhn: Armut heißt und Sonntag:
Rachebrüten,
du, der du nicht ans Herz dir greifst, wenn
das Gestänge reißt
und Typhusfieber in Baracken furchtbar wüten,
und ihr auf Kanzeln, die ihr keine Gnade kennt,
nur aufmurrt, wenn Zerräderte sich in den
Wäldern strecken,
ihr Stahlumschienten, die ihr jeden Mord noch
Opfern nennt
und Gitter stellt, wenn sich die Opfer in den
Himmel recken — :
53
aus euren Söhnen schlägt Vererbung flammen«
grell,
und eure Töchter machen sich gemein mit
schnapsgezähmten Tieren,
durch eurer Träume Sintflut fährt das Karussell
der Bierdelirien, die im Gehirn krepieren.
Baut keinen Zaun um eure Herzen, wenn der
gute Hirt
mit Harfenliedem naht und Blinde ihr Ge 5
brechen weisen.
Werft Kleider auf den Weg, wenn ein Gerich«
teter vorüberklirrt,
und bietet eure eigenen Hände hin den blanken
Eisen.
' Denn nichts füllt die geschweiften Krüge mehr,
die ihr geleert habt, da noch blaue Wälder«
stunden waren,
bis ihr nicht, jeder Hoffart leer,
den weißen Frost der Buße stiebt aus den ge«
schorenen Haaren.
54
DER GEIST GOTTES ÜBER DEM
FEUER
Wie auch Blasebälge in den Schmieden dröhnen,
Wind durch W eißglut zischend fahrt,
Eisenfluß durch Schlacken furchtbar schwärt
und die Hämmer schrill im Dreiklang tönen — :
Meinem DasSein beugen sich Geräusche,
die geschwellt sind von gehetzter Fron;
aber daß sich Adams brauner Sohn
nicht in mir wie ein Betrogener täusche:
muß ich mich durch Kerkergitter zwängen,
muß mich anschrein lassen von der Wut
herrischer Befehle und mein rotes Blut
zügelnd halten, daß es nicht in heißem Drängen
wie ein Sturzbach donnert: zu vernichten!
Muß vor Geißlern wie ein Hund »schön tun«
und, wenn Tagediebe kühl im Grünen ruhn,
meinen eigenen Scheiterhaufen schichten.
55
DER PROPHET
IN DER SONNTAGSKNEIPE
In feuchten Kellern, überwölkt von Tabaks? '
dünsten
und überzischt von rosa Lampenlicht,
verführt von Fusel und von Weiberbrünsten,
verblättert das Gesicht,
ihr Sklaven, die zerschlagenen Muskeln wie in
Binden
und den entnervten Blick veräußerlicht,
o Menschen ihr — : ist dieses hier Verwinden
von Peitschenschlägen, Gift und Aderlaß
der Knechtschaft in den Höhlen, wo euch ein
Erblinden
rasend im Kreise drehte wie ein dummer Jahr?
marktsspaß?
Ist dieses Opfer? Wandelt sich zur Speise,
zum Sakrament der unterdrückte Haß?
Fuhr schon durch heiße Fieberbetten eure
Reise,
durch rotgeschundene Leiber euer Schreck?
geschrei?
56
Und klangen eure Ohren nicht schon manch«
mal leise?
Macht euch nicht klein! Schlagt diesen Babel«
bau entzwei!
Laßt euch vom unterst Strömenden bezwingen
wie Jonas sich bezwingen ließ vom Hai.
Denn dort, wo Funken rot wie Regenschauer
springen
und die geborstene Brust der Erde qualvoll
brüllt
wie Mörder kreischen vor entblößten Henker«
klingen,
dort, wo sich Diebe und Erpresser unverhüllt
in götzenhaftem Hochmut blähen — :
das dort ist Ninive, und ihre Zeit ist schon
erfüllt.
Wann seid ihr Schnitter, dieses Reife wegzu«
mähen?!
57
PROLET
Wie ungeheuer bist du Tier
vor den Maschinen, die dein Dasein steil um«
dämmen.
Du bist mit deinem Samen noch den Räder«
kämmen
lieblos hineingewürgt in Gram und Gier.
Du drehst dich wie ein Karussell im Kreis
und mußt mit jedem Schritt dich ruhig leiten
lassen,
mit Härten, die mit heller Pfeifen Schrei dein
Jahr verprassen,
die dich zusammenfegen, wenn du müde wirst
und weiß.
Wann wächst dem Fluch die Axt, die aus den
Bergen
(die dich, statt in das Licht zu höhn, gemein
verzwergen)
den Tag herausschlägt, wo dein früh verliehner
Ruhm beginnt?
58
... Es gehn nur Worte . . .Worte, nichts alsWorte
wie durch ein Sieb in dein Gehirn; nicht eins
ist Pforte
und atemloses Flüchten aus dem Labyrinth.
59
DER HEILAND DER ARMEN
I
Wir tragen ihn im Blut Millionen Jahre schon.
Wir tragen ihn im Blut wie unfruchtbaren
Samen.
Tagtäglich hingesät, entkeimt uns nie der Sohn,
deruns erlösensoll vonden verfluchten Gaukel*
dramen,
dieniemals Abgrund sind und niemals inGefahr
zu explodieren aus dem festgefügten Rahmen,
der Arbeit heißt und Knechtschaft siebzig Jahr.
Wir tragen ihn im Blut, das schwarz ist von
den Scherben
zerbrochner Ahnen, die uns glichen auf ein
Haar.
Wir sind verdammt, dies Unfruchtbare zu ver*
erben
auf Kind und Kindeskinder wie ein Amulett,
den SchreidesUngeborenen'darin einzukerben.
Und bög sich Berg an Berg herab zum Lotter*
bett,
so lüstern ist kein Schoß, das zu empfangen
und furchtlos auszutragen auf dem Folterbrett
60
der Kindswehn, überkreischt von Schnitt und
Riß und Zangen,
was uns im Blut schon Millionen Jahre gor
und einmal hoch am Marterstamm gehangen,
Erlittenes widerstritt und grenzenlos verlor.
61
II
i Wir tragen ihn im Blut, den ewig Namenlosen,
der auf der Zunge schmeckt wie Bibelwort
und schnell zerschmelzend, aufgeht in Meta«
morphosen.
Die spüren wir im Schweiß, der uns umdorrt
in den Fabriken: furchtbar giftige Kloaken,
gehäuft von Diebstahl, Dolch und Meuchel«
mord.
Und spüren sie tief eingebohrt wie Widerhaken
und schleppen sie hinüber in den Fratzentraum
der Schlafgeschreie, dran schon Sterne schwarz
erschraken.
Wir atmen schwer, und unserer Atemzüge
Schaum
friert fest vor den geschlossenen Lippen
wie Grind und Rinde am Korallenbaum.
Doch dann geschieht’s, daß um zusammen«
gepreßte Rippen
der Aufruhr donnert und die feige Kreatur
aufstachelt, so wie Treiber störrische Tiere
stippen,
62
bis unsere schwanken Arme, steil wie Zeiger
einer Uhr,
die niemals schlug, aufragen und die Stunde
schlagen,
drin wie von einer qualverstrickten Nabels
schnür
hinausgeboren, der entflammt,
den wir im Blut schon Millionen Jahre tragen.
63
/
III
Erlöserl Bruderl Leiblich schon im Traum ge«
staltet
und wieder eingepfercht in dem verruchten Blut
zu unfruchtbarem Samen mörderisch erkaltet.
Erlöser! Bruderl Frost und GloriefemsterGlut:
sieh, aus dem Girren unser vorgerollten Augen
bricht stärker als von Magdalena und von Ruth
ein Frommsein, das, geläutert von den scharfen
Laugen
und bitteren Säuren hingeflossener Tränen, nie-
mals schwankt.
Vergleich uns nicht mit Geldverdienern, die
nichts taugen
zur Schwangerschaft, die, ohne daß ein Glied
.erkrankt,
dich austrägt wie der Schöpfer in sechs Tagzeit#
wachen
den Himmel schuf und dieser Erde Sacro —
sanct.
64
Krümm’ dich nicht klein in unseres Blutes saft«
vergorenem Lachen.
Entkeime und erlöse uns von Fluch und Knecht«
beschwer,
bis alle Reiche donnernd wie ein Kratersturz
zusammenkrachen
und alle Städte überrieselt ein entflammtes
Lavameer . . .
Bruder 1 Erlöserl Aller Namenlosen einge«
borener Sohn,
entstrahle fruchtbar groß in Wiederkehr
den Unfruchtbaren in Blut Millionen Jahre
schon.
5
65
/
DIE NEUE BERGPREDIGT
I
Ihr blassen Krüppel, sanft von Kindern von
geschoben,
und ihr Geschwächten aus dem Hospital,
ihr Irren von den Straßen aufgehoben
und ihr Entlaufnen aus dem Arbeitssaal;
Töchter der Magdalena, Kains robuste Söhne,
Verwanderte von China her und vom Ural:
auf daß mein Spruch durch euer Stöhnen töne,
auf daß mein Spruch durch eurer Stirnen Grind
sich zwänge, wild wie Wettern heißer Föhne,
und Adern, die vom Gram verschüttet sind,
melodisch weite, ward mir diese Stunde
noch einmal aufgespart, eh’ Brüder tollwut*
blind
sich hetzen und zerfleischen wie die großen
Hunde
der Strahlgebläse in Kavernen aufgestellt.
Und spricht auch zorniger Gott nicht mehr
aus meinem Munde:
Der Vater, der mich sandte, heißt noch immer
wie die Welt.
66
II
Ihr Männer, sprecht, zerdonnem schon in
Rauch
die goldenen Paläste, die man aus den Knochen
eurer Ahnen
aufstellte über blauem Strom. Und platzte
schon der Bauch
des Baals, der die heranbeschworenen Kara«
wanen
Unmündiger verschlang wie süßes Gras?
Und flattern von den Kirchturmspitzen schon
die Fahnen
der Freiheit feurig räudigen Siedlern zu im
Haftgelaß?
Und sprang aus euren Muskeln schon der
Schwielen
verschorftes Ducken wild zurück in Haß?
Wer zerrt ungläubiges Volk ins Joch der erznen
Sielen?
Und welcher Schlachtruf rauscht, der euch zu
Taten treibt,
Notsegel bläht, den Äther zu durchkielen?
J»
67
Das Menetekel, das ihr schwarz mit Wolken«
fingern schreibt,
entsprang es den fünf unverbundenenWunden
des Kreuztods, der solange ungerochen bleibt,
bis Menschen dieser Erde nicht mehr munden?
68
III
Und ihr belaubten Mütter, fruchtbar ohne Sinn
und ewig ausgestreckt, ein Neues zu emp*
fangen,
ward eurem Dienen schon ein seliger Gewinn ?
Ein Königreich? Provinzen korngelb aufge#
gangen?
Und Töchter: gläubig untertan wie Ruth?
Und habt ihr je in bangen, nächtelangen
Gebeten eurer Männer hingeflossnes Blut
beweint, und, angestarrt von der Verzweiflung
Larven,
euch stündlich aufgereizt in rächerische Wut?
Gott gab euch Odem psalmengrüner Harfen,
den Frost der Seelen silbern aufzuglühn,
die sich zerknirscht Vertiertem in die Blößen
warfen.
Aus euren zauberischen Fingern blühn
noch immer Rosen, letzte Armut zu versöhnen.
Um Brücken, über Ströme bogenkühn
zuschlagen, müssen Harfen über Rosen wunder
tönen.
69
IV
Noch immer schwebt zerräderte Musik um
eure Lippen,
ihr Kinder, die ich nie so hilflos sah,
und so gejagt, gleich in ein Weinen umzu«
kippen.
Was weit auf Lenzgefilden knospenhalt ge«
schah:
Marienkäferlied und Schmetterlinge«Fangen,
ist euch nur in den magern Bilderbüchern nah.
Nie reizten Glocken, die durch Streikrevolten
feurig klangen,
euch in das selige Getöse einer Schneeball«
schiacht.
Zerbrochenes Gefühl ist oft durch euren Traum
gegangen.
Und wenn ihr auf dem Brachfeld, wo ein
Feuerchen entfacht,
bricht gleich schon Angst von euren Munden
wie zerbissene Kreide,
und immer habt ihr Ruhr und Husten heim«
gebracht.
70
Ich aber will, daß ihr wie tausendfältiges Ge«
treide
in Sonne reift; denn meine Mühlen gehn schon
leer,
und an des Kreuzwegs ungewisser Daseins«
scheide
lauem gebräunte Quäler, wie ein Hunnenheer.
71
V
Erlösung breche schier aus meinem Munde
und fließe weit hinaus wie der Atlant,
auf daß ihr, hingetaucht auf seinem Grunde,
zur letzten Freiheit euch ermannt.
Mein Same, einmal ausgestreut in Schlachten,
wie sammelt er sich hier als unfruchtbarer
Sand?!
Reibtaus den Augen euch die wüst verwachten
Nächte der Qual und wallt in meinem Zug,
den neuer Quäler Väter schon verlachten
und Priester schamlos nutzten zum Betrug.
Ihr Hergeschwemmten mit dem toten Blick
der Blinden:
in mir ist immer Mittagshöh’ und Stemenflug.
Sodom und Hellas, Rom zu überwinden,
schenk’ ich mich stündlich allem aus, was trin«
ken mag.
Und groß aus östlich hergewehten Winden
erbau’ ich täglich euch den alleijüngsten Tag.
72
VI
O jüngster Tag, aus himmlischem Gedröhn
gewittert,
o Strahl, der feurig durch das Morsche fahrt,
o Schlag, der jäh des Baales Bakelturm zer*
splittert
und was verzweifelt gärt, zur Wahrheit klärt:
Schon höre ich aus Tiefen krummer Hufe
Stampfen
und wittre Brand, der gelb aus schwarzen
Wolken schwärt,
die Zwielichtkämpfe in den Städten zu ver*
dampfen.
Und wenn Elias mit dem Flugschiff wieder*
kehrt,
dann brechen Augen, die sich schwer in Furcht
verkrampfen,
weißgläubig auf und stürzen in den Feuerherd,
der aufbrennt, Boden einer neuen Welt zu
düngen.
Und niemand wird dort siedeln, den Vergan*
genes beschwert;
73
erwacht zu ungeheurer Schöpferkraft
schießt Gottes Blut, das einmal schon vergeh*
lieh rann,
durch aller Menschen Herzen steil gerafft
und steht — dreifache Sonne — über Kanaan.
HUNDSTAGE
I
Nun dreht sich die Stadt nicht mehr wie ein
Wald,
an dem vorbei die Wagen eines Zuges rasen.
Die Straßen überklafft ein breiter Spalt.
Die Häuser sind wie Bälle aufgeblasen.
Fahlgelb, fast ausgelöscht, verdirbt das Bunt
der langen Fensterfronten; Fleischerläden
sind zugehangen wie ein bartverwachsener
Mund,
und Drähte schaukeln schlaffer noch als Spinn«
webfaden.
Viel Stufen fuhren nieder, wo die Luft
zu Schnee gefriert. Kanäle glätten
mit Bleigewichten die erbrochene Gruft.
Emporgehoben auf den höchsten Stand,
sengt das Gestirn herab : ein schnelles Plätten
von Eisen über weißes Band.
75
II
Auf den Balkon verkannt und schamlos nackt,
läßt man den Blick durch Häuserlücken fluten :
die Dächer rauchen nicht mehr steil im Takt,
durch hohlen Himmel stampfen die Minuten.
Man wünscht den Wind, der kühlen soll,
schnell nah;
die Lungenpfiffe trocknen Zung’ und Gaumen,
in Schläfen hakt sich’s fest wie Eisendaumen,
und plötzlich ist die dunkle Wolke dal
Ist da wie ein Geschwader von Husaren,
mit Lanzenblitz und Dröhnen Huf an Huf,
in einen unsichtbaren Feind zu fahren ....
Und fahrt vorbei. Ein abgebrochener Ruf
welkt in Alleen. Glasig schneckt der Tag.
Die Stadt gähnt wie ein leergewürgter Tauben«
schlag.
76
JUGEND
Auf asphaltierten Straßen steht der heiße Teer.
Die Fenster schaun einäugig wie aus schwarzen
Binden.
Der Rauch stürzt ab, kann keinen Führer finden
und weiß von keiner hellen Wiederkehr.
Die Glocken schleifen das Kyrieleis,
ein Fischemetz, bis in die Zimmer. Manche
beten
und finden ihre Götter. Einer kommt von den
Propheten
und lächelt weise wie ein kalter Greis.
Uns aber stachelt diese Stumpfheit. Wir, ge«
nug ins Joch gepreßt,
reißen das rußige Gewand in Stücke
und schreiten fort wie Mörder fest.
Schon schwankt die letzte Brücke!
Wir müssen uns sputen,
hinauf die Straßen, diese Nacht noch bluten.
77
DIE WEISSAGUNGEN MICHAS
I
Der Himmel hier ist einziges entflammtes Rot
vonTotgeburten, die, den Schößen der Proleten
qualvoll entrissen, hinter Pauken und Trom«
peten
auffuhrn in Karawanen, wie Vulkan gebot.
Proleten zeugen immer noch gemeine Jubilaten
des Blutgerichts, das diese Welt zerstören soll.
Wutrausch ist über Schwielen hingerollter
Zoll,
aus Flächen zwischen Dom und Disteln scharf
erraten.
Der Himmel steht schon tausend Jahre rot
entflammt.
Und Uhren weisen immer noch auf Tod und
Schwangerschaften.
Und jedem Neuen ist ein Kreuzpfahl schier
ins Fleisch gerammt.
Ich aber sage euch: es schwärt ein Stern,
ein grüner Stern, der sammelt alle Hingerafften
und schart sie schwarz um Magdalena wie um
einen Kern.
78
Und Kern ist Schoß ; aus dem wird uns Messias
kommen,
Messias, neu erhobener Herr der neuen From»
men.
79
II
N och tausendmal wird dieser lange Leichenzug
die Straßen überschwemmen und die Stauner
steilen.
Geschwüre im Gehirn wird nie ein Aufruhr
heilen,
der aus Zerknirschung sproßt, denn Führer
giem Betrug.
Aus Pfählen, eurem Fleisch entrissen, baut
Vulkan den Zaun;
ihn zu erklimmen kann kein Haßgestrecktes
taugen.
Werft nur zurück das Vorgerollte eurer Augen
und seid wie Kinder, die auf Schlackenhalden
Burgen baun.
Der Spuk, der nachts um eure Seufzerbetten
pfeift,
ist nichts als Echo aller Seufzer zum Orkan
gesteift,
und spannt wie eines Sturmes Balkenbau die
Brücke
80
zu Inseln hin, wo Wahnsinn eurer Ahnen ruht.
Ich aber sage euch: es ballt sich schon in eines
Weibes Blut
die Gottesfrucht, die, einmal erst entschlüpft
der Lücke,
die sieben Tore des verschlossenen Reichs ent«
riegelt
und seine Stärken mit gemeinem Tod besiegelt.
6
81
III
Ist dieses Fördern von Verflammten über
Kraterschlünden,
wo ein Besessner Gold aus Schweißvergorenem
schürft,
nicht Prüfstein, den ihr mehr denn je bedürft
zu glauben: daß sich bald die Ziffemkreise
ründen?
Den Händen ward, daß sie schon nichts mehr
fühlen
und nur noch Tat sind, ohne des Gehirns Ven
merk.
Hoch über eurem uhrumspülten Tagewerk
streicht schon der Osterwind und bringt Arom
und Kühlen.
Schaßt Grün in eure Hütten, Salböl und Musik!
und ruft die Söhne heim von Walfischfang,
Mission und Krieg;
lockt Töchter von den Straßen her und aus
Basaren.
Schon bläst Erzengel Gabriel die Siegfanfaren.
Jäh stürzen Mauern ein und Gräber klaffen
weit.
Kreuzwege grüßen weiß, wie weihnachbüber*
schneit.
82
Und sind die Fühler irrer Urangst erst zurück«
geglitten,
dröhnt durch die Helle dumpfer Hall von
gottgewaltigen Schritten.
6 «
83
IV
Er ist schon da, er kehrt als Sieger heim. Ein
Held.
Er schlug das letzte noch: erschlug den Streit,
daß diese Zeit geebnetliege und wieMeereweit.
Er blies das windige Versteck: den Nebel aus
der Welt.
Seht das Gesicht: gesammelt brüderlich,
die Stirn von Ewigkeiten überkämmt 1
Nichts bäumt sich, was sein Schreiten hemmt.
Er will nicht Weltgeschichte machen. Nur ein
schmaler Strich
erscheint sein Mund, zerpreßt von soviel Not,
wie tausend Jahre Welt nicht Elend sah
Seht das Gesicht . . . beschattet von dem Tod
des räudigen Hundes noch. Und was an euch
geschah:
seht seine Stirn, zerzerrt von spitzem Stift;
die Seufzer eurer Mitternächte sind die Schrift
Nicht in den Staub vor ihm: nein, neben ihm
zu wehn,
sei eurer Flügel abendbreites Drehn.
84
VORPOSTEN
Nun knirschen Räder stumm verbissen. Türme
stehn schon blaß.
Gemäuer schwankt, mit Wolken schwer be*
sackt, ins Ungewisse.
Hinter den Halden scheinen Untergänge wie
durch Glas.
Laternen knospen aus dem Schwarzgesträhn
der Schattenrisse,
grünrot und spitz wie Lippen eines Kinder*
munds.
Aus krummen Schultern schwärt der Krampf
der Natternbisse
und rollt durch Kirchen, wie Gejaul und Jam*
mem eines tollen Hunds.
Daß dieses Ausruhn heißt und Sammeln unter*
jochter Säfte,
erschüttert dich und mich und überwältigt uns.
Und was uns tiefer noch zerfleischt amWurzel*
schaft der Kräfte,
die Regung eines Willens, welcher Buße schürt,
macht uns zu Sklaven, die ein Strahl von Hellas
äffte.
85
Denn unsre wachen Tage, die wir, fest an den
Marterstamm geschnürt
und von Verdammnis überwölkt, hinleben,
überstemte
oft Ahnung einer Himmelfahrt, von Kinds«
bein an gespürt.
Ahnung: hinauszusäenl Und Hoffnung: hun«
dertfacher Ernte,
sproßt nie aus Frömmigkeit und bußbetäubtem
Hirn.
Heiliger Zorn, den man schon in den Schulen
zügeln lernte,
erlag dem Ansturm dieses Grauns: zwecklos
umherzuirm;
ihn blühend neu zu zeugen, kann kein Wollen
nützen,
das bläulich züngelt wie derWeihraucb in den
Meßgeschirm.
Werft das Zerknirschte wie Verbrauchtes in
verschlammte Pfützen.
Wer glaubt, daß wir längst kirr und unberührt
bar sind?
ListigimHihterhaltlauem Maschinenschützen.
86
\
Von Steppen hergeweht, umrauscht uns guter
Wind.
Dunkel ist da, die Feuerbr^nde zu entzünden,
verstocktes Blut zu schüren, bis es wieder feurig
rinnt.
Was niemals fließt, wird niemals Welle sein
und münden;
der Wurf rangierter Würfel eines freiem Seins:
er gleite, stürze! Er zerschell’ in den gewühlten
Schründen!
Aber er klinge jauchzend durch das grün?
vermorschte des Gesteins.
87
VORBEI
Die Nacht hat mich so ausgepumpt: ein Traum
von dir, Erlöser, jagte meiner Pulse Quell
ans andre Ufer, wo des Reiches Raum
gerundet war und wie dein Wort so hell.
Nun bin ich ausgeraucht. Durchs Fenster sticht
ein kalter Schnee. Ich habe Angst, hinaus
zu gehn, und doch wird mir das Haus
zu eng vor lauter Leere und Gewicht.
Die Straßen donnern den Marsch ums Geld;
halt’ ein, du Knabe, weile, dunkle Fraul
Ich seh’ euch durch das Grau nur ungenau,
nur wie ihr eurem Gehen Segel schwellt.
Ich weiß von euch nur, daß ihr wirklich seid,
nicht was euch flieht, nicht wer euch ruft.
Der Weg, der euch zur Mittagshöhe stuft,
sei meines Schritts Bemühn, ich habe Zeit.
Ihr aus der Masse Ragenden, doch Teil von ihr:
ich brauche Volk, ich platze von dem Wort;
ich habe euer Ohr, doch klingt nichts fort
in euch. Ich bleibe stehn: ein fremdes Tier.
Die Straße stirbt. Es donnert der Betrieb
in der Fabrik. Zweitausend Jahre schon.
Und in den Glocken immer noch der Ton:
Hast du mich lieb?
89
DER AUFRÜHRER
Und jede Nacht schlägt über diese Stadt ein
Fest empor;
auf deinen Kopf war eine Million gesetzt,
die ward von ihr versoffen und verjubelt jetzt,
die Janitscharen blasen einen Tusch dir Tor.
Du hörst in finsterer Zelle nur den Wurm
durchs Holz der Pritsche feilen und zerteilst
den schwarzen Schein
der Gruft mit einem Irrsinn, den kein Stein
kalt aushöhlt; jeder Atemzug tobt Sturm.
Die Wächter horchen an der dicken Tür,
wie du dich bäumst und wie dein Mund
vor Blut gerinnt. Sie haben mit dem tollen H und
noch Mitleid; sehn auf deiner Stirn nur das
Geschwür.
Laß deine Finger auseinandergehn,
nur diesen Fettgewordenen nicht die Faustl
Eh’ du ins Leere Löcher haust — :
als Riese will dein Volk dich Wiedersehn.
Das Volk: es dehnt sich erst im Schoß
der Christin, die vom Bauplatz Späne stahl;
sie ist noch jung und hat zum erstenmal
geliebt, und für ein Leben schon zu groß.
Nur dieser einen Gläubigen vertrau’,
nur diese eine Nacht noch sei ihr Halt,
auf daß sie niederkomme und mit dem gerafften
Alt
der Mutter Fluch erreize diesem Bau.
Die Mütter aller, die dich flohen, sind mit ihr,
die Mütter sammeln sich
Nur diese eine Nacht gedulde dich,
nur diese eine Nacht noch sei gekuschtes Tier.
Nur diese Nacht gekuschtes Tier;
mit jeder Stunde wächst aus schimpflicher Ge#
fangenschaft
dein Herz empor zu alter Kraft — :
»Simson, Philister, über dir!«
91
INS LEERE PUFFT DER DONNER
DEINER RUFE...
Du wähnst dich frei und bist doch enger
umstellt von Gitterstäben wie zuvor.
Durch dein vergälltes Herz ist noch kein Tor
gebrochen, nur dein Schatten wurde länger.
Der Götzen Mordlust schlug in dein Gehirn
hinüber.
Du mißtraust, wo du lieben müßtest, ein Jahr«
tausend groß,
und hinter dir die Ströme branden uferlos
an Felsen und bewölken alle Himmel trüber.
Ins Leere pufft der Donner deiner Rufe,
die Hörner ducken sich und sinnen Verrat.
Aus unterirdischen Gewölben naht
ein Widersacher und erobert Stufe schon um
Stufe.
Auf deiner Stirn die Aderschlangen schwellen
noch giftiger Du zeigst die Faust
anstatt Umarmungsarme und verbaust
den schmalen Aufblick zu dem himmlisch
Hellen.
92
Du liegst dir selber noch als Klotz quer auf
den Schienen;
die Femen aber warten, daß du sie befährst.
Geh’ in dich! Gib dich wieder wie zuerst;
als Bettler nicht, doch lerne dienen.
Dem Einen diene, der die Welt umhügelt
mit einer Liebe chimborassohaft
Sei eines Pfingsten dreimal heilige Kraft,
die noch den Feind, ein Mensch zu sein, be*
flügelt.
93
AUS PULVERNEBELN IST EIN
STERN GEBOREN...
I
Und wieder bleibt mir nur das Zimmer noch
mit toten Wanden und der Möbel Fratzen.
Und immer eine Uhr im Schritt von Tatzen,
mich bannend in das schwarze Fensterloch.
Den Tag hab’ ich vergeblich angejagt,
der Massenmord in Straßen nahm kein Ende.
Die Menschen starben, weil sie ohne Blende
ein Licht betraten, das nie Amen sagt.
Wie fühle ich mich schuldig jetzt mit allen,
die, statt zu fechten, Berge aus Papier
durchfraßen und an ein geflecktes Tier
sich willenlos verschwendeten. Ich weiß
nur einen Ausweg, der mein Blut zu Eis
gefriert und meine Finger krümmt zu Krallen.
94
II
Ich weiß nur diesen Ausweg, wo es knallt.
Doch draußen steht vielleicht e'inWaisenknabe,
erinnernd, daß ich ihn zum Mahl geladen habe
und wartet, daß die Mauer auftut einen Spalt.
Wie nahe ist es doch bis zu ihm hin
Doch ist kein Ton in meiner Kehle, ihn zu rufen,
ihn auf der untersten der Stufen
zu küssen: »Lieber Bruder, sieh, ich bin!«
Wie hohl geht dieser Wände horchendes Ge#
klopf
nach meinem Blut: die Leere auszufüllen!
Ich habe Furcht, mein Herz herauszubrüllen.
Und plötzlich grinst durchs Fenster wie ein
Totenkopf
der gelbe Mond ich gebe auf, auf mich
zu zielen
und laß vom weißen Tisch herunter zu den
Dielen
die spiegelnde Gewalt der Birnen spielen.
95
I
111
Der Tag war viel zu alt, ihn wach zu halten
in Zellen, wo ein junger Leopard
vom Pfiff der Zahmer rasendrot genarrt,
die Stirne warf in kalte Rachefalten.
Wozu ist dieser Abend da und grau ver*
schwiegen?
Komm, Knabe, dein Jahrhundert jetzt beginnt.
In deine Flügel will ich mich als Wind
hinschmiegen, daß sie endlich lernen fliegen!
Was zögerst du noch? Keine Mutter weint
mehr jetzt dem Letzten nach, der ihr geblieben.
Die Zeit, die kommt, wird nicht mit Blut ge*
schrieben.
Aus Pulvemebeln ist ein Stern geboren,
der sammelt, was in Straßen irr verloren,
was vor den Götzenbildern weiß versteint.
%
HÖRST DU MICH, WENN MEINE
SEELE SCHREIT?
In memoriam Emile Verhaeren
i
O du einsamer Montblanc im Land
jenseits jener Ströme, die uns trennen — :
wann wirst du mit brüderlicher Hand
dich zu uns Verbrüderten bekennen?
Wann wirst du erfahren, wer wir sind,
die wir aufwärts fuhren aus den Gräben,
nicht mehr eingelullt und blind,
frieren müssen hinter Gitterstäben?
Wann wirst, näherrückend, du
her zu uns die Brücke schlagen?
Daß wir nicht mehr klagen, nein, dir sagen:
Zwischen uns ist Tag und Weltgeschehen,
laß uns tief in deine Augen sehen ;
hier ist heilig Land, zieh’ aus die Schuh’.
7
97
II
Hier ist heilig Land Und du willst dich
nicht erinnern, daß mit Schmerzen wir geboren
wurden von dem gleichen Weibe du und ich,
unsere Seelen haben in der Welt verloren?
Hart an uns vorbei
suchten wir, da wir uns finden wollten.
In der Straßen sausendem Geschrei
gingen unsere Schreie unter und wir grollten.
Um uns schweigt jetzt heiliges Erschauern,
und wir horchen in die Zeit,
wie ein einsam Ohr horcht in Gefängnis*
mauern — :
Hörst du mich, wenn meine Seele schreit?
Muß sie heiß dich in die Weiten rufen?
Bruder, haue meinem Schritt zu dir die Stufen.
98
ICH SCHREITE STEINERN . . .
Hat nicht der Tag mir Schmach 'genug ge«
bracht?
War nicht die Straße angefüllt mit Quälern?
Warum noch klirren diese Wände stählern
als Zwinger um mein Herz die lange Nacht?
So sehr hat der Radau des stürmischen Ver*
kehrs
mein Blut befroren, daß ich kaum noch fühle
Getick der Uhr, das Abendmahl und bläue
Schwüle
des Rauchs am Strand des Lichtermeers.
Ich schreite steinern auf dem Rand desTeppichs
fort;
ein langes Pendel ist mein Denken durch die
Stunden
und kommt vor lauter Schwingung nicht zumi
Wort.
Das Fenster ist mit allem Glas ins Schwarz
gerückt.
Ich spüre Kühle flattern über alte Wunden
und eine neue Spitze in mein Hirn gezückt.
7 »
99
BAUME IM FENSTER....
Oh, ihr tausendfach gereichten Hände
durchs Fenster — : Baum in Baum!
Nun bin ich nicht mehr so allein im Raum,
gefangen nicht vom kalten Stein der Wände.
Geflüstertes Verbrüdem reißt empor
den Dunkelschmerz der Einsam«Stunden.
Ströme des Herzens haben heimgefunden
und von den Augen stürzt der graue Flor.
Es ist noch Welt 1 Es ist noch Blaues in der Welt!
Ja, plötzlich singen alle Bäume
und haben Sterne und den Mond im Samt der
Säume.
Von lauter Himmel bin ich schon umstellt.
In meinem Munde
zerfließt als Lobgesang die Stunde.
100
NUR DIESE STUNDE....
Nur diese Stunde bleibe unbarmherzig hart
nach außen . . . wenn die Ampelreihen winken,
wenn Mädchen lächeln, Bühnen und Portale
blinken
und im verfahrenen Kies die weiße Stute scharrt 1
Nur diese Stunde sei mit Baum und Stern
Dreifaltigkeit. Erinnere dich der Ahnen,
die sich zu diesem Eiland schmale Wege bahnen
und in dir auferstehen vor dem Herrn.
Der Raum ist angefullt von ihm und lebt.
Er kommt nur einmal, daß du dich zu ihm
entscheiden,
in ihm genesen kannst, wenn nichts mehr lebt.
O seliger Besitz, wenn Haus bei Haus
mit Wagen und Laternen auf dem Asphalt
treiben
und in den Unterströraen plötzlich löschen
aus.
101
BALD MUSST DU MEHR SEIN ALS
EIN BLOSSES AHNEN ....
Du zwängst dich in den keifenden Tumult,
durchbohrt von vorgerollter Augen Spießen.
Es schnappt um dein Gelenk die kalte Schließe.
Dein Mund brennt unbewegt. Du hast Geduld.
Als hätten Mütter dich zum Bösewicht
hinausgeboren in die Welt, bist du geschunden.
Es kommen Hunde und beschnuppern deine
Wunden,
Gerichte schlagen dir Verbrechen ins Gesicht.
Vorbeigezielt das Beil 1 Ein reineres Firmament
wölbt sich auf deiner Stirne blankem Krater.
Dein Freisein rollt als Held durch die Theater,
Gestrüpp um ihn, aus dem ein Moseswunder
brennt.
Daß diese Stadt noch immer du bewohnst — :
bald mußt du mehr sein als ein bloßes Ahnen.
Denn nicht mehr weichen vor dir aus die
Bahnen,
und die Laternen wissen schon, daß du sie
schonst.
102
Doch der von dir Gesuchte duckt sich feig.
So sehr hat das Geschwür ihn umgeschmissen.
Bald wirst du nur um eine Witwe wissen
und Vater sein dem abgebrochenen Zweig.
Aus sieben Namen blüht ihm dein Geschlecht
und zerrt die Straßen hoch und färbt sie bunter.
Du schwankst die letzten Stufen hinunter
und sprichst der Zeit ihr Recht — :
Es ist genug verdonnert und verbannt!
Gezeugt aus Kurven, die sich kreuzend
paaren,
schart sich imWirbel von durchstöhnten
Jahren
das länderlose Land.
103
WIE WOHL DU BIST....
O Nacht, du Gleichgewicht der kühlen Tage,
du Obhut der Zerrissenen im Blut — :
kannst du begreifen, daß ein Ding nun ruht
unangetastet in gerader Lage?
Wie wohl du bist: es ist nicht laut zu sagen,
was von dir ausgeht, süß in uns hinein.
Denn immer noch schlägt eine Welle Stein
um dieses Haus und horcht ins Uhrenschlagen.
Und weil wir das Getriebe nicht erweichten,
das herrisch war in Stunden Fron und Schweiß,
und weil die angeschwemmten Stücke Eis
nur unsere Haut, nicht unser Herz erreichten — :
Ist noch ein Haß in jeder Strömung draußen
und schwillt mit denen, die vorübergehn
und mit Laternen in die Fenster sehn,
hindrängend uns nach außen
Wie wohl du bist: wir müssen dich gebären
mit Schmerzen erst. U nd sind noch sehr verstört,
bang, daß uns noch das taube Dunkel hört,
wenn die Gehirne sich zur Einfalt klären.
104
Es betet wer. Geliebte Augen sind von Kummer
bedrängt und klingen mit dem Beter an.
Weint es nicht hinter uns? Und wo begann
mit einemmal die Träne und der Schlummer?
O Morgen, der uns tief zu Täufern weiht!
Von euch zu reißen die durchbluteten
Schleier — :
endlich ergrimmen Fäuste dem Befreier
und hauen Stufen in die Zeit.
105
DU BIST NOCH SO VERTRÄUMT1
Geruch von Wald bedrängend diese Stadt!
Auf allen Stirnen glänzt ein grünes Wissen.
Mit Stacheln dringst du durch die Ruhekissen.
Die Straßen spiegeln nicht mehr schwarz und
glatt.
Ein Sausen überdonnert den Verkehr.
Die Bahnen stürzen schräg aus abgebogenen
Weichen,
wo zweier Ströme Kurven sich die Ufer reichen
und aufbrüllt der Fabriken schwarzes Heer.
Die abgefallene Sirene bäumt
schalmeienhaft sich in der Lämmerwolken
Silber.
Wohin enteilst du, vom Betrieb vergilbter
Soldat der Schicht? Du bist noch so verträumt!
Er geht durch die Wälder jetzt, dein Gott: e r is t!
Herbraust er hoch auf lichtbemähnten Pferden.
Es wächst der selige Tumult auf Erden.
Die Glocken schlagen heller schon: Du bist!
Auf Stirnen dicke Adern ringeln noch. Ein Stoß
ins Leere! Sieh! der treue Regenbogen
106
wölbt sich. Die Sonne teilt die blauen Wogen
und zeigt der Himmel wälderhaften Schoß.
Es geht in Parks. Wie rein wäscht dieser Tau!
Kein Raum ist in der Luft zu schrillen Pfiffen.
Empor die Hände schlagen wir, versammelt,
gottergriffen.
Die Sonne wiegt als Taube sich im Blau.
NIEMAND HÖRT ZU... .
BöswilligTodgeschwiegenervondem Gewühl,
von Larven immer Angespiener, du — :
ein Zeichen gib, ein wenig Kühle in das schwül
durchdampfte Zimmer blüh’. Ich blüh’ herzu.
Ich öftine mich ganz weit. Ich laß dich ein.
Kein Bunt der Straße blättert sich mehr breit
vor meines Herzens Schrein. Ich bin allein
und süß mit meinem Blut bereit.
Durchrase es. Steil es zu höchstem Flug.
Zerschmettere mich, wenn ich zu kalt
und ausgelaugt schon bin von dem Betrug,
der Ordnung heißt und göttliche Gewalt.
Der dich beschwört mit klirrender Monstranz,
der dich in Wein austeilt und mit dem Brot,
der mit Musik und Fahnentanz
dem Tod verschminkt das höllenhafte Rot.
Wohin soll ich verteilen mich, daß tausendfach
du überall mich triffst als Hauch,
von endlos blauen Seen und Gelach
und Lobgesang aus einem Strauch?
108
Die Lichter welken frierend um mich her,
die Möbel auch zerfließen schwarz und hohl —
Bist du jetzt, was im Zimmer schmiegsam leer
und Nacht ist und die Hand um das Pistol?
Ich öffne mich ganz weit — : stoß zu den Hahnl
Barmherzigkeit, wenn ich gefehlt . . .
Doch wenn die Türe früh wird aufgetan,
liegst wirklich du als Wesen und entseelt.
Böswillig totgeschwiegen vom Gewühl,
von Larven immer angespien, du.
Und allen gibst du Zeichen in dem schwül
durchstampften Tag .... Niemand hört zu.
I
109
BRUDER
Die Angst, ein schräges Weiß in den Pupillen,
verrät dich mir. Und immer folgen muß ich dir,
als läge dein vom Tag vergällter Willen
vor meiner Türe wie ein treues Tier.
Es horcht die lange N acht lang in mein Stöhnen,
es bellt als Auspuff, wenn ich fliehe mit der Bahn.
Es murrt, wennichmich bäume zu versöhnen— :
»Was hab’ ich Böses dir getan?«
Was hast du Böses mir getan? Die Nähe
schon stachelt michl Ich brauche breiten Raum.
Wie ich mich drehe und wohin ich spähe,
bist du. Bist Schatten und bist Baum.
Auf blähend bin ich rot in Zorn geschwollen,
wenn du Entschwundener, plötzlich steil er»
scheinst.
Doch ehe noch die Härten weiter rollen,
frag ich schon, ob mit mir du’s ehrlich meinst.
Du Flamme mir noch schwarzer Regionen:
durch dich verbrennend stirbt in mir die Stadt.
Ichkannsienichtmehr wie ein Haus bewohnen,
das einen Ausblick auf sie hat.
110
Aus dir bricht aus ein Ekel ohnegleichen
vor dem, was auf den Straßen laut regiert;
einst kamen sie die Hände mir zu reichen,
in deren Atem mir der eigene jetzt gefriert.
Du trinkst mit mir das gleiche Gift Vergessen,
das immer Rausch gebärt und nie Verzicht.
Ich bin von dir so unzerteilt besessen,
daß ich dich kenne wie mich selber nicht.
Die Angst, ein schräges Weiß in den Pupillen,
verrätmichdir.Und immer mußt du folgen mir,
als läge mein vom Tag vergällter Willen
vor deiner Türe wie ein treues Tier.
111
ABER JETZT IST GLANZ MIT EINEM
MAL . . .
Durch die schwarzen Felsgewalten dieser Welt
bricht ein schmaler Lichtstrahl auf die Straßen,
wo wir hingekauert wie Verstoßene saßen,
tausend Jahre von Gebäuden eng umstellt.
Tausend Jahre in der Maske der Enterbten
mit dem Pfahl im Fleisch — : Gott ist gerechtl
Noch die Hunde bissen: »Pack’ dich, fauler
Knechtl«
Noch die Gräbermale hinter uns zerscherbten.
Aber jetzt ist Glanz mit einemmal
breit um unsere rissigen Stirnen ausgegossen.
Wie von Flammen einer Heiligung umflossen,
schmilzt der Eisblock eingeborener Qual.
Über uns und um uns wuchtet ein Geschehen,
zwingt uns Femverlaufene Hand in Hand — :
»Immer, Bruder, habe ich dich schon gekannt,
doch du bliebst, da ich dich rief, nicht stehen.
Erst des Brudermordes schwarzes Blut
mußte uns Zerbrochene zusammenkitten,
112
gab uns, wo wir schon ins Erdenlose nieder#
glitten,
plötzlich hin der rückwärts strömenden Flut.
Die uns trieb, woher wir einmal kamen,
klein und arm und in Gefühlen gleich «
Und nun wächst um uns unendlich weit das
Reich
und die Sonne, die uns böse Quäler nahmen.
«
Unserer Fäuste dumpf verhaltene Kraft
schlägt mit himmlischer Gewalt nach innen,
ein Millionenheer von Herzen zu gewinnen,
das die Welt erlöst aus der Gefangenschaft.
Bis wir nichts als eine helle Mitte
brüderlicher Menschheit sind,
über uns und um uns Gottes Osterwind
und ins Ewige nur zwei, drei Schritte.
8
113
REGNERISCHER TAG
Du graue Trauermelodie der Erde,
durch unseren Tag gesungen vom Verfall —
wie weit ist schon der Tag, aus dem ein helles:
»Werde!«
aufglühte und als Sonne stand im All?
Wohin ist das Verbrüdernde entschwunden,
die runde Einheit und des Blutes Jubelrot,
der tröstliche Verband um tiefe Wunden
und der verheißene Erlöser aus der Not?
Es kamen Viele, die sich warm in unsere Arme
einhängten und mit Munden voll Gesang
durch Straßen stürmten und die bärtigen Gen«
darme
von gestern schallend zwangen in den Über«
schwang.
Es war ein Taumel, doch kein Auferbauen;
es war ein Rausch, doch kein Ermannen zum
Geschick.
Kein Schreitender will mehr dem Schritt des
andern trauen,
und böse Brauen wachsen wieder jedem Blick.
114
Wir fangen an so schwer auf uns zu lasten,
wie in den Gräben einstmals vor dem Feind,
da wilde Kugeln wild nach unseren Kehlen
faßten
und alle Herzen stille standen wie versteint.
Wir fangen an uns schon so heiß zu hassen,
wie wir die Quäler haßten, die jetzt tot
am Boden liegen zwischen Schädelmassen,
die sie uns boten, wo wir schrien um Brot.
Wir fangen wieder an, Vergangenem nachzu*
jagen
und fühlen uns so angstallein,
und auf den Schultern eine tote Stunde tragen,
die hätte lauter Glanz und Gnade sollen sein ....
O graue Trauermelodie der Erde,
durch unseren Tag gesungen vom Verfall — :
wie weit ist schon der Tag, an dem ein helles:
»Werde!«
aufglühte und als Sonne stand im All.
«•
115
WIR SIND NOCH NICHT WIE
KINDER
Noch ist nicht Licht genug in allen Gassen;
noch frieren Millionen in der Gruft
derKnechtschaft, und noch trenntuns eineKluft
von der Vollendung, deren Anfang wir erst
fassen.
Um unsere Stirnen donnern noch Gewitter
des einst Gewesenen mit kaltem Schlag;
voll von Zerstörungen ist noch der Tag
und sieht im Bruderauge noch den Splitter.
i
Wir sind noch nicht wie Kinder wieder klein
geworden,
demütig und dem letzten Bettler gleich
und legen schon den Grundstein zu dem Reich
der Mitte, wo wir noch mit Worten morden.
Der Hände felsenhaftes Aufwärtsdrängen
biegt ab ein aufgepumpter Zwist,
der kein Verzeihen kennt und nicht vergißt,
was gestern war; nur rächen will und an La*
temen hängen
116
den Zögernden, den noch nicht Aufgehellten,
den Andersgläubigen, den Antichrist
Solange noch ein Funken Haß in unseren
Herzen ist,
stehn wir noch zwischen zwei umgrenzten
Welten.
Wir stehen vor dem Tor zu einem Tore,
dahinter erst Unendlichkeit beginnt.
Wir wissen nur, daß wir erkoren sind,
von allen Stirnen abzureißen die befrorenen
Flore.
Wir brauchen unsere Hände nicht mehr falten,
wir sind nicht Fremde mehr
doch ehe wir gesammelt sind zum großen Heer
verbrüderter Gewalten,
muß nichts als Liebe laut sein auf den Gassen;
bis hoch von ihrem Licht erhellt
in unseren Händen die erlöste Welt
einströmt wie aller Meere Wassermassen.
117
BESCHWÖRUNG
Noch einmal, ehe ich in Kotund Chlorverrecke,
reiß meine heißen Augen ich zu euch empor — :
zerteilt die düstere Dornenhecke
und sammelt euch im Chor.
Lobsingt, wenn an Erlösung ihr nicht glaubt,
wenn Rauch und Regen euch das Morgenrot
verrammelt,
lobsingt, schluchzt, flüstert oder stammelt
den Sonntag, den zu feiern euch der Baal erlaubt.
Die selige Verbrüderung im Stadtbahnzug,
die mädchenweiße Wallfahrt zu den Flüssen
mit Dampfer, Mond und frechen Zungen«
küssen
Brüllt Nervenarien zu Gott, der das zerschlug.
Nur schweigen nicht, wo alles halsgeschwollen
tutet,
die Geldverdiener, Mönche, Kinderkreis.
Springtauf, habtHunger, knetet, laufteuchheiß;
denn die Maschine, die euch treibt, ist weiß*
geblutet.
118
Blau über euch die Fahne wieder flattert,
der heilige Schwung — : 0 hoch gebaute Welt!
Wenn dieses noch zerschellt,
seid ihr nur wert, daß über euch Gomorrha
rattert.
Seid schuldig ihr, daß ich in euch mit Ruhm
mitschuldig werde: Kain über Abel,
daß sich die angegraute Fabel
aufschwingt zu ewigem Götzentum.
119
STREIK
Ihr Brüder, hüftenmagre, tierhaft nackte,
von Eisen überkühlte Dreher = Schar — :
einmal in euch wird heilige Freundschaft wahr
und sammelt das Zerplackte, wüst Zerhackte.
Doch euer Schreiten will erst täglich Brot,
das Schurzfell über die erkannte Blöße.
Es baut sich wilder wachsend auf zur Größe
und ahnt den riesenhaften Gegner Tod.
Es ahnt ihn erst im Krüppeltanz der Narben
Bis plötzlich Auffahrt weißer Säbel euch zer*
streut!
Es färben rot sich alle lauen Farben,
was lange Qualverlängrer war, bereut.
Märtyrer ihr des Schweißes — : dennoch
Brände?
Welch ein Gefühl endlich für unsere Hände!
DU WIRST GEFAHREN, MANN AUF
KRÜCKEN!
Ob du es noch erlebst,
der Mutter Gottes Bild in Strahlenwinden?
Ob du dich noch erhebst.
Wenn von dir abfallt Schorf der grauen Rinden?
So einsam Tier kannst du noch nicht geworden
sein,
so schwer geschwächt nicht von Gesetzes
Knuten,
daß du wie ein verstoßener Stein
an Häusern stehst wenn Ströme durch die
Straßen bluten.
Die Gräben füllen sich mit Feuchtigkeit,
die Regenschauer bauen graue Brücken
hinüber in die sprungbereite Zeit.
Du wirst gefahren, Mann auf Krücken,
du wirst aus schon verwestem Kot gescharrt.
Und wo du weich bist, hart gehämmert, hart!
121
ENTSCHEIDE DIE VERLAUFENEN
• • • •
Wir werden alle göttlich auferstehn,
suchende Fühler weit ins Blau gestreckt.
Der Himmel ist mit Wolken noch bedeckt,
durch Ritzen aber schon das Licht zu sehn.
Es färbt der Kuppeln Kupfer rosenrot,
in Giebelfenstem brennt’s!
Es reißt die Fahnen von dem Halbmast Tod
empor ins Wappen — : Mann des Firmaments.
Gestirn du selbst, gefolgt von weißer Schar,
entscheide die Verlaufenen, rede wahr:
die ganze Menschheit soll es sein!
O letztes, ewig donnerndes Bemühn — :
du streust dich aus gleich Leqz im Palmengrün
und brichst das Brot und schenkst den Wein.
122
\
DIE KANZEL EUCH!
Gesicht — : ich seh’ dich, Brudervolk, gebadet
nackt
dem Gräbenlabyrinth entschreiten.
Gezähmte Tiere stehn Spalier zu beiden Seiten,
der Himmel donnert purpurüberflaggt.
Einbiegt ihr in verschüttetes Kastell,
wo aus den Steinen knospen schon Schalmeien,
wo in dem Rauch der priesterlichen Weihen
Monstranzen klirren und Jehovas Name hell.
Die Kanzel euchl Posaune euer Mund!
Es gießt sich aus in aller Innen,
das ausgetrocknet ist bis auf den Grund — :
Jauchz’, Kreatur,
die heiligen Ströme rinnen
wieder die alte Bruderspur!
123
FRIEDEN AUF ERDEN
So wird essein— reinTraum den bleichenSöhnen
plötzlich erscheint So süß an blauer See.
Wo Hyazinthe duftet; äsend lichtes Reh
und Felder sind mit Glocken auszutönen.
Laubhütten Straßen wärts beduscht von Ster#
AusweichenHoorenunvergänglichRuth.[nen.
Es sausen durch ihr tausendjähriges Blut
Nachkommenschaften brünstig allen Femen.
Die blonden Enkel strahlen im Zenit zusam#
sie künden singend sich wie Vögel an [men
und wissen niederstürzend nicht, woher sie
stammen.
Sie wachsen auf von Königen ein Bund,
und Mann zu Mann
ein Herz, ein Mund.
124
Inhalt
Seite
Der Tag 5
Breite Alleen 6
Früh 5 80 8
Angst 9
Felsen 10
Magdalena 12
Es tobt Musik 14
Nach dem Ausflug 16
Cafe 18
Tänzerinnen 20
Aus den Fenstern eines
Kesselhauses 22
Fahrt in den Herbst 25
Stürmische Flucht der Hau*
ser 27
Es tönt die Nacht ein dunk*
ler Eulenschrei 29
Und der Mond ist da .... 30
Die Nacht bewohnt mitGlut
mein Angesicht 31
'Wir beten in die Nacht .. 33
Sturm 34
Niemand hat dazu schon
Mut 36
Zweckloser Stern 39
Der Greis in der Landschaft 40
Bald wird der Tod wie ein
Gespiele stehn 43
Kluft 46
Vorstadtbalkon 48
Bußprediger Johannes .... 53
Der Geist Gottes über dem
Feuer 55
Der Prophet in der Sonn*
tagskneipe 56
Prolet 58
Seite
Der Heiland der Armen . . 60
Die neue Bergpredigt .... 66
Hundstage 75
Jugend 77
Die Weißsagungen Michas 78
Vorposten 85
Vorbei 88
Der Aufrührer 89
Ins Leere pufft der Donner
deiner Rufe ... 92
Aus Pulvemebeln ist ein
Stern geboren 94
Hörst du mich, wenn meine
Seele schreit? 97
Ich schreite steinern 99
Bäume im Fenster 100
Nur diese Stunde 101
Bald mußt du mehr sein als
ein bloßes Ahnen 102
Wie wohl du bist 104
Du bist noch so verträumt I 106
Niemand hört zu .. .. .. 108
Bruder 110
Aber jetzt ist Glanz mit
einemmal 112
Regnerischer Tag 114
Wir sind noch nicht wie
Kinder 116
Beschwörung 118
Streik 120
Du wirst gefahren, Mann
auf Krückenl 121
Entscheide die Verlaufenen 122
Die Kanzel euchl 123
Frieden auf Erden 124
125
9
Gedruckt bei der
Hof» Buch« und »Steindruckerei
Dietsch & Brückner in Weimar
Von demselben Verfasser sind u. a. erschienen:
Die eiserne Brücke
Neue Gedichte
Der schwarze Baal
Novellen, 3.-8. Tausend
Das Terzett der Sterne
Kurt Wolff, Verlag, München
Die wogende Saat
Gedichte nach Emile Verhaeren
Inselverlag, Leipzig
Das Grab der Welt
Erzählungen, 2.-5. Tausend
Hoffmann & Campe, Verlag
Hamburg«Berlin
Das Ereignis
Neue Novellen
Das schwarze Revier
Neue Ausgabe
Musarion Verlag, München